Die Überwindung der Bedingungslosigkeit

10. Dezember 2020 Allgemein

Als Abwesenheit jeglicher Erwartungshaltungen ist die Bedingungslosigkeit so ziemlich das Gegenteil der kapitalistischen Systeme, in deren habgierigen Klauen sich die meisten Gesellschaften gerade befinden.

Menschengeschaffene Systeme, in denen Waren, Produkte und Dienstleistungen den Besitzer wechseln, wenn ein entsprechender Gegenwert, meist mit Geld aufgebracht wird. Rational, mathematisch, binär, berechenbar, gerecht(?). Das Geld ist dabei willkommenes Mittel, um irgendeinem Zweck zu dienen. Das sonntägliche Laugengebäck in der nächsten Bäckerei zu kaufen. Einen Haarschnitt beim Frisör zu bekommen. Ein Mittel um meine Miete zu bezahlen.

Geld möchte ich nicht verteufeln. Ganz im Gegenteil. Geld ist erst Möglichmacher von so vielen Dingen. Solange es nicht zum Selbstzweck wird, sondern Mittel bleibt und seiner Erfüllung zugeführt wird, nämlich innerhalb des Handelssystems im Umlauf bleibt.

So irrational, unbedarft und naiv kommt in einem solchen Wert(e)system die Bedingungslosigkeit daher. Sie erwartet keinen Gegenwert um zu existieren. Sie erfüllt ihren Zweck allein schon dadurch, dass sie beim Geben nichts fordert. Dient nur der Handlung an sich. Ist deswegen so schön. So schlicht. Und auch so schwer zu glauben oder anzunehmen.

Warum sollte denn schließlich jemand freiwillig etwas geben, ohne etwas dafür zu verlangen? Sie bricht dem durch den Kapitalismus und unserem Handelsverständnis vorgegebenen “Tit for tat”/”Wie du mir, so ich dir”.

Die Bedingungslosigkeit ist rein und vollkommen. Da sie nur aus Liebe besteht. Aus der Liebe heraus, etwas zu tun und zu geben, weil es in sich schon erfüllend ist. Und sich die Frage auf den Anspruch eines Gegenwerts nicht anmaßt zu stellen.

Und vielleicht ist deshalb das Wort bedingungslos für genau diese Haltung nicht präzise genug. Ich finde es nicht zutreffend, wenn sich ein Wort durch den expliziten Mangel einer Eigenschaft versucht zu definieren und dieser Mangel auch sprachlich immer mitschwingt.

Adressieren deswegen bedingungsLOS, fleischLOS, sorgenLOS und konfessionsLOS einen Mangel, Scham und Verlust.

Drehen wir das doch einfach. Wir sind schließlich FREI in der Wahl der Worte die wir benutzen.

bedingungsFREI, fleischFREI, sorgenFREI und konfessionsFREI transportieren direkt eine andere Stimmung. Sie begrüßen die Abwesenheit der negativen Eigenschaft ohne Verlust und Scham. Signalisieren eine positive Grundlage.

Der sprachliche Mangel, der durch die BedingungsLOSigkeit vermittelt wurde, wird durch die BedingungsFREIheit überwunden.

Bedingungsfreiheit signalisiert in meinen Augen zutreffender, was hinter einer bedingungslosen Haltung steckt.

Sprache ist das Hauptmedium, um als Mensch mit der Welt in Verbindung zu treten. Daran teilzuhaben, zu kommunizieren und zu gestalten. Daher finde ich es wichtig, dass wir für unsere Haltungen auch die richtigen Wörter verwenden. Wörter, die möglichst wenig Interpretationsspielraum zulassen und dabei noch eine postive, freie Grundhaltung vermitteln.

Denn so wie wir sprechen, so denken wir. Und so wie wir sprechen, so handeln wir.

Die Wahl der Wörter nimmt dabei eine zentrale, aber oft unbewusste Rolle ein. Und Sprache kann trennen, aber auch verbinden. (Kollege trennt, Kolleg:innen verbindet)

Gerade in unserer ein- bis zweidimensionalen Onlinewelt ist das geschriebene Wort oft unsere ausschließliche Möglichkeit, um in Kontakt mit anderen Menschen zu treten. Und bei der Kommunikation gibt es immer Sender und Empfänger. Daher ist es an uns (als Sender), unsere Haltung so klar und präzise zu formulieren wie nur möglich, bevor wir sie senden.

Es ist trotzdem die beschränkteste Art der Kommunikation die wir kennen: Wir sehen nicht, hören nicht, riechen nicht, fühlen nicht – tauschen nur Wörter aus.

Zurück nun aber zum sprachlichen (Haltungs-)Wandel von LOS zu FREI!

Im direkten Vergleich, (der auch zum sofortigen Ausprobieren einlädt) ist schon die Mundbewegung bei Wörtern die auf FREI enden, deutlich entspannter als bei Wörtern mit Suffix LOS. Gerne direkt hier ausprobieren:

BedingungsFREI, emissionsFREI, sorgenFREI, bleiFREI (ok, schwierig), konfessionsFREI, fleischFREI, koffeinFREI. Bei mir bleibt mit FREI endend schon fast ein Grinsen im Gesicht stehen. Bei dir auch?

Das Leben lässt sich, ganz nebenbei, ohne (unausgesprochene) Erwartungshaltungen, ohne Bedingungen, ohne “müssen”, ohne “wenn… dann”s an andere, recht einfach leben. Solche sprachlichen Knebel knebeln uns auch selbst. Lassen keinen Raum für eigene Entscheidungen oder gemeinsame Lösungsfindungen. Ein “wenn… dann” ist binär. Die technische Welt ist binär. Die menschliche Welt ist es nicht.

Ich versuche jedem vorbehaltFREI und individuell zu begegnen. Ihn als Mensch wahrzunehmen. Nicht als “Mittel”, um irgendwas durch ihn zu erreichen und ihn auszunutzen. Und erstrecht nicht, um ihn/sie bewusst in meine Schuld zu navigieren, und sie später einzufordern.

Entsprechend kann auch eine an Bedingungen geknüpfte Liebe keine Liebe sein. Sobald Bedingungen statt Wünschen im Spiel sind, ist es ein Handel und wir sind wieder bei den Eingangs erwähnten, angelernten, gesellschaftlich kultivierten Tauschgeschäften.

Die kapitalistische Marktwirtschaft und die Bedingungsfreiheit koexistieren aktuell. Und ich wünsche mir mehr von der Liebe der Bedingungsfreiheit in der Handlungsmaxime des Kapitalismus. Und garkeinen Kapitalismus in der Liebe/Bedingungsfreiheit.

Machen wir andere jetzt schon frei von (unseren) Bedingungen. Sind achtsam und einladend mit unserer Sprache. Formulieren Wünsche. Handeln selbst aus Liebe. Und schaffen damit gemeinsam größere Veränderungen in Systemen die zwar menschengemacht, aber nicht für den Menschen gemacht sind.

Bedingungsfrei.