Was bedeutet eigentlich digitale Transformation?

13. März 2021 Allgemein

Meine Suche nach der Bedeutung eines geflügelten Begriffs.

In mehr und mehr Gesprächen, sei es im Büro, in Talkshows, im Freundeskreis oder seit neustem auf Clubhouse wird der Begriff der digitalen Transformation verwendet. Er ist zur Zeit in aller Munde und so facettenreich, dass ich für mich versucht habe zu verstehen, was er bedeutet.

Zuerst, was ist denn eine Transformation? Als früher die Quacksalber und Alchemisten vergeblich versuchten, aus Blei Gold zu erzeugen wurde das als Magie oder Transmutation bezeichnet. Für mich versucht eine Transformation das gleiche. Aus einem Ursprungszustand wird aktiv versucht einen Zielzustand zu erreichen. Mit hoffentlich mehr Erfolg als bei der Golderzeugung.

Jede Transformation impliziert daher ein konkretes Ziel. Ich transformiere etwas, UM etwas anderes zu erreichen. Die Transformation selbst ist damit ein Mittel zum Zweck. Und sie ist endlich. Sobald ich aus Blei Gold gemacht habe, puff bin ich fertig.

Wäre das geklärt. Nächstes Wort: digital. Der Einfachheit halber synonym zu “computergestützt”. Mehr digital, heißt also “mehr Computer”. Und wenn ich “mehr” von etwas habe, habe ich automatisch auch weniger von etwas anderem. Weniger Papier, weniger Overheadprojektoren, weniger manuelle Tätigkeiten, weniger Mensch?

Eine digitale Transformation wäre damit: Eine Umwandlung von etwas, hin zu etwas-anderem-mit-mehr-Computerunterstützung. Soweit so gut?

Da fehlt mir irgendwie noch etwas. Das “wozu” nämlich. Ist dieses quantitative “mehr” an Technik, Software und Computerunterstützung denn automatisch die richtige Antwort auf die Lebensbereiche, auf die es angewandt wird? In diese scheint es zumindest rüberzuschwappen, wenn man liest, die Digitalisierung sei jetzt im Bildungssystem angekommen. Und in der Landwirtschaft, und in der Mobilität, und bei der Post, und im Lebensmitteleinzelhandel. Und eigentlich überall. Doch was bedeutet das?

Droht die Digitalisierung ein Technikdeterminismus zu werden? Wird sie durch das Silicon Valley ähnlich einer drohenden Naturkatastrophe zu einer unaufhaltbaren Vorbestimmtheit erhoben, dass uns allen und überall immer mehr Technik passieren und widerfahren wird? (Zu unserem Wohl versteht sich – hoffentlich)

Lassen sich nach der Logik die folgenden Fragen erschöpfend mit “mehr Digitalisierung” beantworten, lösen und alles ist gut? Oder brauchen wir da einen anderen Zugang?

Wie sieht zum Beispiel die Mobilität der Zukunft aus? Wie sehen die Bildung und Schule der Zukunft aus? Wie sieht das gesellschaftliche Zusammenleben, unsere Demokratie und die Stadt der Zukunft aus? Wie sieht die Pflege in der Zukunft aus? Wie können wir unsere Natur bewahren? Wie sieht unser Konsum- und Wohlstandsverständnis der Zukunft aus? Wie wirtschaften und arbeiten wir in Zukunft zusammen?

Das “mehr” an Technik hilft mir hier nicht weiter. Auch wenn es sicher der eine oder andere anders sehen mag: “Die Digitalisierung wird so oder so kommen, und es verändert sich alles. Du Fortschrittsverhinderer!!!11” höre ich schon klingen.

Ich denke, es bedarf Utopien und kühnen Zukunftsvisionen der einzelnen Lebensbereiche. Wirkliche Gründe für Transformationen. Und diese Gründe oder Utopien sollten immer an den Bedürfnissen und Wünschen der Menschen ausgerichtet sein, die in ihnen leben.

Wir transformieren also aktiv, anhand der konkreten Zielbilder – zusammen zum Beispiel mit digitalen Möglichkeiten – einzelne Lebensbereiche in einen wünschenswerten Zustand. Ist das geschafft, ist die Transformation abgeschlossen (weil, wie ich es oben geschrieben habe, eine Transformation immer ein vorübergehender Zustand ist. (dauert der Prozess des Wandelns länger an, oder hat kein sichtbares Ziel, würde ich eher von einer Kultur reden – aber das ist ein anderes Thema)).

Technologien sind für mich während diesem Prozess Werkzeuge, die mich bei meiner Zielerreichung der Transformation unterstützen können.

Salopp gesagt: wenn ich das Ziel habe, einen Stuhl zu bauen, brauche ich mehr als nur einen Hammer um das effektiv zu erreichen. Okay zugegeben: Man muss vermutlich kein MacGuyver sein und kann mit genug Ausdauer, Starrsinn und Beharrlichkeit sicher auch mit nur einem Hammer einen Stuhl zimmern. Ein gut ausgerüsteter Werkzeugkasten beschleunigt die Sache jedoch imminent.

Die Digitalisierung ist dementsprechend ein rasend schnell wachsender Werkzeugkasten, mit dessen technologischer Unterstützung Ziele erreicht werden können. Die Digitalisierung selbst liefert mir dabei jedoch keine konkreten Ziele, sondern am Fließband neue verheißungsvolle Möglichkeiten, Technologie und Arbeitsformen. (Im übertragenen Sinne müsste uns sonst der Hammer sagen, was er jetzt klopfen möchte) Es braucht hier immer den Faktor Mensch, der sich der Werkzeuge bedient und entscheidet, was wie eingesetzt wird. Ein Akteur, der explizit etwas transformieren möchte

Betrachten wir den Umgang mit diesen Werkzeugen und ihrem sinnvollen Einsatz als eigenes Handwerk, was erlernt werden kann. Denn ich behaupte, niemand wird die Werkzeuge auf Anhieb beherrschen oder verstehen. Gerade weil die Technologien immer mächtiger (virtuelle Schweizer Taschenmesser), komplexer und teilweise auch kurzlebiger werden. Herauszufinden, wann ich welche Technologie (vielleicht auch in Kombination) wie am besten einsetze, ist die Kunst der Stunde.

Daher halte ich es für eine Notwendigkeit, das Ziel für den Einsatz vorher zu wissen. Erst dann greife ich in den Werkzeugkasten.

Natürlich bedingen sich hier Werkzeuge und Ziele gegenseitig. Manche Technologien ermöglichen mir erst durch ihre Erfindung einen neuen Blick auf die Welt, die mich von ganz anderen, neuen und größeren Zielen träumen lässt. Andere kommen als Disruption um die Ecke und werfen alles ungeplant über den Haufen.

Eine Transformation kann daher immer durch digitale Methoden und Technologien flankiert werden. “DIE digitale Transformation” per se gibt es nach meiner Herleitung nicht – da es keinen alleinigen Akteur gibt, der ein globales Ziel verfolgt. Sie ist zu abstrakt und jede (digitale) Transformation hat einen eigenen Kontext, ein eigenes Umfeld, einen eigenen Sektor, einen jeweiligen eigenen Akteur. Was jede die Transformation in ihren Fragestellungen, Herausforderungen und Zielen immer einzigartig macht.

Uwe Schneidewind prägt in seinem Buch “die Große Transformation” den Begriff der Zukunftskunst*. Angelehnt an meine Ausführungen ist Zukunftskunst in diesem Kontext das kluge Kombinieren der vorhandenen (digitalen) Werkzeuge mit entsprechend – in ihrer jeweiligen Disziplin (Mobilität, Wohlstand, Bildung, Energieversorgung, …) am Wohlergehen der Menschen orientierten Ziele.

Für mich ist Zukunftskunst eine Haltung der Gegenwart. Eine Haltung, mit der man positiv in Richtung Zukünfte blickt – und das Jetzt so gestaltet um die gewünschte Zukunft zu Erreichen.

Ich habe die oben gestellten Fragen bewusst plakativ formuliert, hielt sie aber aufgrund der scheinbaren Bedeutungsschwere und Unschärfe des Begriffs der “digitalen Transformation” angemessen diese zusammenzubringen.

Ich denke jede von meinen Fragen ist eine Generationenfrage. Extrem vielschichtig, mehrdimensional, sozial und individuell. Entsprechend fallen auch die jeweiligen Visionen, Zielbilder und Wege zur Umsetzung unterschiedlich aus.

Aber – und das ist das Tolle – sie sind alle denk- und gestaltbar! Und wir können gemeinsam durch jede Transformation voneinander lernen.

Ich wünsche mir daher, dass wir uns weiterhin trauen und erlauben, kreativ, klug, mutig, pragmatisch, langfristig, differenziert und gleichzeitig übergreifend, digital unterstützt und intersektional zu denken, zu irren und weiterzumachen.

Und uns als Mensch dabei immer als Mittelpunkt verstehen.

Lösen wir gemeinsam unsere Generationenfragen. Werden wir Zukunftskünstler.


*Entsprechende Denkanstöße, die “Große Transformation” anzugehen, liefert dabei das gleichnamige Buch von Uwe Schneidewind. (Die “Große Transformation” hat dabei das Ziel und konkrete Umsetzungsvorschläge um innerhalb unserer planetaren Grenzen ein menschenwürdiges Leben für 10Mrd Menschen und zukünftige Generationen zu ermöglichen.)

Zu diesem Themenkomplex weitere empfehlenswerte Literatur:

Maja Göpel: Unsere Welt neu denken – eine Einladung

Richard David Precht: Künstliche Intelligenz und der Sinn des Lebens

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